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© Paul Schirnhofer | SuperIllu
Eiskunstläuferin

Katarina Witt: Die Kunst dem Leben einen Sinn zu geben

Die Sportlegende beklagt im SuperIllu-Interview ein Versagen der Politik, spricht über einen gesundheitlichen Rückschlag und teilt Erinnerungen an Jutta Müller.

© Paul Schirnhofer | SuperIllu
Geboren in Staaken begann ihre Sportkarriere in Chemnitz. Nach der Profi-Laufbahn trat sie u. a. bei „Holiday on Ice“ auf, wirkte auch als Schauspielerin und Produzentin. 2005 gründete sie die  „Katarina Witt Stiftung“, seit 2019 betreibt sie das Potsdamer Sportstudio „Kurvenstar“.

Unser Fotoshooting mit Katarina Witt, 58, findet im Museum Barberini in Potsdam statt, genauer gesagt: in der dortigen Impressionismus-Sammlung. Die Stimmung ist locker und gelöst; immer wieder ertönt das typische Lachen der zweifachen Olympiasiegerin und vierfachen Weltmeisterin im Eiskunstlauf: laut, herzlich, ansteckend. Bei einigen Gesprächsthemen wird Witt jedoch ernst und traurig – etwa, als es um ihre verstorbene ehemalige Trainerin Jutta Müller (†94) geht oder als sie sich über ihre bis dato schwerste Verletzung äußert, die sie 2023 in einer Zeit großer Frustration erlitt. Zunächst aber reden wir mit ihr über: die Kunst!

Ich trainiere möglichst zwei Mal pro Woche in meinem Studio. Wenn ein Ball oder Dreh ansteht, sieht man mich zwei Wochen vorher fast jeden Tag hier.

Katarina Witt
© Paul Schirnhofer | SuperIllu
"Schlittschuhläufer in Giverny“ heißt dieses Monet-Gemälde aus dem Jahr 1899. Kein Wunder, dass es Witts Interesse weckt!

Frau Witt, wie ist es für Sie, hier zu sein?

Einfach toll! Allein das Wissen, dass all diese Gemälde vor so langer Zeit entstanden sind. Kunst transportiert Geschichte – und wenn sie dann noch so schön anzuschauen ist wie die impressionistischen Werke hier, bleibt die Zeit für einen Moment stehen. Ich finde es ganz großartig von Hasso Plattner, dass er der Stadt Potsdam dies ermöglicht. Mich fasziniert Kunst aber nicht nur, sie entspannt mich auch: Als ich vorhin auf der Bank saß und mir Monets „Seerosen“ anschaute, war das ein unglaublich beruhigendes Gefühl. Und es erfüllte mich mit Respekt, wie viel Zeit der Künstler investiert hatte. Ist es nicht ein wunderbares Kontrastprogramm zu all den Instagram-Schnappschüssen & Co., mit denen man geflutet wird in dieser ohnehin so flüchtigen, schnelllebigen Zeit?

Hier hängt Kunst an den Wänden – Sie brachten Kunst aufs Eis. Sind Sie privat ebenfalls Ästhetin?

Das würde ich schon sagen! Ich möchte mich möglichst immer wohlfühlen. Selbst wenn wir in meinem „Kurvenstar“-Sportstudio Mitgebrachtes zwischendurch essen, dann sollten schon richtige Teller und Besteck auf den Tisch. Und zu Hause sorge ich für Ordnung. Eine Ecke darf ein bisschen chaotisch sein, ansonsten hat alles seinen Platz. Das heißt nicht, dass ich nicht im Jogginganzug daheim herumlungere – was Karl Lagerfeld so gar nicht gefallen hätte! (lacht) Na, und ich hab gern frische Blumen vom Markt daheim. Ich freu mich jetzt schon drauf, wenn ich mich im Frühling wieder mit Tulpen eindecken kann. So lang warte ich immer. Das sind für mich einfach Frühlingsblumen!

© Dirk Masbaum
Sie wirbt für mehr Bewegung und geht mit gutem Beispiel voran: Hier in ihrem Sportstudio „Kurvenstar“.

Sie erwähnten Ihr Potsdamer Sportstudio, das Sie 2019 eröffneten.

Ich wollte damals eines, das exakt meinen Vorstellungen entspricht, nicht nur optisch – Stichwort Ästhetik –, sondern auch und vor allem vom inhaltlichen Konzept her. Wir setzen auf Zirkeltraining, das nicht nur hocheffektiv ist für Muskeln und das Herz, auch die Beweglichkeit bekommt extra große Aufmerksamkeit bei uns. Das Training lässt sich in jeden noch so gefüllten Terminkalender einbauen. Ich selbst trainiere hier möglichst zwei Mal pro Woche, gehe außerdem Joggen und Walken. Die frische Luft tut mir unglaublich gut. Und wenn ich unterwegs bin, erkunde ich auf die Weise die jeweilige Umgebung. Wenn ein Ball oder Dreh ansteht, sieht man mich zwei Wochen vorher fast jeden Tag im Studio. Dann wissen alle immer schon Bescheid… Ja, wir sind mittlerweile so ‘ne richtige „Kurvenstar“-Familie! Und was die Ernährung angeht: Ich esse gern und – bis auf Austern, bäh! – alles. Aber in Maßen. Früher war ich da natürlich viel strenger. Auf dem Eis musste ich meinen Körper dem Kostüm anpassen – heute richtet sich die Kleidung nach mir. (lacht)

Für keinen ihrer Schützlinge kam es infrage, Frau Müller zu duzen.,Jutta‘ – das krieg ich gar nicht über meine Lippen. Und trotzdem halte ich sie ganz tief in meinem Herzen fest.

Katarina Witt
© imago images
1987 mit Trainerin Jutta Müller bei der Weltmeisterschaft in Cincinnati. Gold für Witt!

Apropos „Eis“: Ende 2023 starb Ihre ehemalige Trainerin Jutta Müller…

Mit meiner Frau Müller verstarb eine Frau, zu der ich eine ganz intensive, hochemotionale Bindung hatte und die ich sehr respektierte. Ihr Ableben besiegelte für all ihre Schützlinge irgendwie das endgültige Ende unser aller Eisvergangenheit. Bei der Beerdigung herrschte, neben unser aller Traurigkeit, vorrangig eine unglaubliche Wertschätzung für sie. Frau Müllers Tod hat mich deshalb so besonders berührt, weil unsere Zusammenarbeit so früh begann; ich war noch ein Kind, neun Jahre alt. Das sind unglaublich prägende Jahre, die Einfluss auf dein ganzes späteres Leben haben. Ein Trost für uns alle war, dass sie ein so stolzes Alter erreicht hatte und ihre Lebensleistung unvergessen bleiben wird.

Wenn Frau Müller Ihnen jemals das Du angeboten hätte – hätten Sie das angenommen?

Auf keinen Fall! Für keinen ihrer Schützlinge kam das jemals infrage. Ich überleg grad… „Jutta“ – das krieg ich gar nicht richtig über meine Lippen. Und trotzdem halte ich sie ganz tief in meinem Herzen fest. Sie war für mich wie ein Familienmitglied. Leider kann sie nicht mehr den ZDF-Film über mich sehen, der noch ausgestrahlt wird. Darin wird sie von der großartigen Dagmar Manzel gespielt und bekommt noch mal ein ganz verdientes Denkmal gesetzt.

Wann hatten Sie Frau Müller zuletzt gesehen vor Ihrem Tod?

Einen Monat zuvor noch. Wir haben uns regelmäßig gesehen, gingen spazieren, tranken Kaffee und aßen zusammen Kuchen – was früher nicht denkbar gewesen wäre. Sie war wirklich ein harter Knochen, aber das war letztlich auch ihre Aufgabe: uns Sportler zu fordern, alles herauszuholen. Und doch gab es auch die andere Seite: Sobald ein Wettkampf vorbei oder wir „nur“ auf einer Schaulauf-Tournee waren, konnte sie locker und unbeschwerter sein. Ohne Frau Müller wäre ich sportlich niemals da hingekommen, wo ich war. Wahrscheinlich konnte ich, besser wie manch andere, ganz gut mit ihrer unnachgiebigen Trainingsweise umgehen – vielleicht, weil da zwei Schützen aufeinanderprallten… Wir waren einfach ein perfektes Team!

Die viel zu lange anhaltende Allianz der Ignoranz seitens der  politisch Verantwortlichen muss doch endlich mal ein Ende finden…

Katarina Witt
© imago images
1984 holte sie Gold bei den Olympischen Spielen in Sarajevo. Anlässlich des Jubiläums war sie jüngst vor Ort.

Sie haben 2021 mit einem aufsehenerregenden Social-Media-Post die Coronapolitik der Bundesregierung kritisiert. Es gab viel Zuspruch, aber auch Diskussion und Vorwürfe.

Die zweiten und dritten Corona-Schließungen innerhalb der Sport-und Fitnessbranche waren unverzeihlich, und ich fing an mit meinem, wie ich denke, gesunden Menschenverstand, mit den Entscheidungen der politisch Verantwortlichen zu hadern. Und ehe man sich versah, wurde man mit einer differenzierten Meinung in eine „Corona-Leugner“-Schublade gesteckt. Seitdem wird es für viele immer schwieriger, öffentlich Bedenken zu äußern und die Probleme wirklich beim Namen zu nennen. Die verschiedensten Herausforderungen, die seit dem Beginn der Pandemie 2020 unser privates oder gerade auch berufliches Leben beeinflussen und maßgeblich bestimmen, sind auch an mir nicht spurlos vorübergezogen. So erlitt ich letztes Frühjahr einen ziemlich heftigen Bandscheibenvorfall – mit Not-Operation und allem drum und dran. Mein Glück war dann letztlich meine eigene gute Fitness. So hab ich die Verletzung viel besser weggesteckt als manch einer, der keinen Sport macht. Im Krankenhaus waren alle ganz erstaunt, wie schnell ich aus dem Bett war. (lacht) Daran sieht man, wie wichtig die körperliche Fitness ist, sich vorbeugend mit Training zu stärken. Und glauben Sie mir: Für die Psyche ist der Sport überlebenswichtig – diese Erfahrung mach ich nun fast täglich.

Inwiefern?

Beim Sport bekomme ich den Kopf frei. Die weiterhin turbulenten Zeiten verbreiten viel Verunsicherung. Die viel zu lange anhaltende Allianz der Ignoranz seitens der politisch Verantwortlichen muss doch endlich mal ein Ende finden. Die Menschen spüren ganz genau, wenn ihre Ängste und Bedenken nicht für voll genommen werden. Für mich ist die größte Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und somit auch für die Demokratie, sich womöglich schulterzuckend und gleichgültig von jeglicher eigenen gelebten Verantwortung abzuwenden, weil man merkt, da oben kommt eh nix mehr an!

Es ist schön, wenn man einen Fußabdruck hinterlassen hat.

Katarina Witt
© Dušan Martinek | ZDF
Vorauss. im Herbst im ZDF: „Eine Kür, die bleibt“ (Arbeitstitel). Witt mit ihrem jungen Film-Pendant Lavinia Nowak (l.); Dagmar Manzel als Jutta Müller

Seit 2005 betreiben Sie Ihre Stiftung, die sich vor allem inklusiven Sportprojekten widmet. Was war da der Antrieb?

Ich wollte etwas zurückgeben. Ich hatte bislang so ein gutes Leben und so viel Erfolg – und der Bereich Sport lag da auf der Hand. Wir kümmern uns um verschiedenste Dinge: Prothesen, Rollstühle, Sportangebote, Urlaub… Das alles verhilft Jugendlichen mit körperlichen Einschränkungen zu mehr Selbstständigkeit und auch Selbstbewusstsein. Wir konnten bereits über 900 Projekte weltweit unterstützen! Ich bin sehr dankbar, dass die Postcode-Lotterie, bundesweit eine der größten Soziallotterien, mit an Bord ist. Vergangenes Jahr haben wir in Potsdam erstmals den Wettbewerb „Inklusiv gewinnt“ gefördert, mit behinderten und nicht behinderten Sportlern. Das ist für mich Inklusion pur; es geht nicht um Mitleid, sondern ums Miteinander. Ich freu mich übrigens auch sehr, zum dritten Mal Schirmherrin der „Parieté“-Gala in Berlin zu sein, die das Thema Inklusion auf der Bühne künstlerisch einmalig umsetzt. Jedes Mal bekomme ich Gänsehaut.

Mögen Sie den Begriff „Legende“, der gern auf Sie angewendet wird?

Ich finde das mittlerweile total schön! Denn es bedeutet doch, dass man einen Fußabdruck hinterlassen hat – oder in meinem Fall Kufen-Spuren. Vorhin sprach mich während unseres Shootings ein netter älterer Herr an. Er ist Rentner und arbeitet hier stundenweise als Wachmann. Er hatte sich extra für heute einteilen lassen, weil er wusste, dass ich im Barberini sein würde… So etwas kommt oft vor und freut mich immer wieder total. Offenbar hab ich in den Menschen etwas berührt und tue das bis heute. Ich sehe diese leuchtenden Augen und die Erinnerungen, die ich offenbar wecke… Häufig sagen die Leute dann: „Sie sind meine Kindheit!“ Das bedeutet mir wirklich viel – obwohl es mir jedes Mal auch bewusst macht, wie lange das alles schon her ist!